VG Hamburg öffnet Spielhallen nach dem Lockdown
Professor Dr. Julian Krüper, GLÜG
Montag, 25.5.2020
Es war nur eine Frage der Zeit, bis die anlaufende Rechtsschutzwelle vor deutschen Verwaltungsgerichten gegen die durch die Länder verhängten Corona-Schutzmaßnahmen auch glücksspielrechtliche Bezüge aufweisen würde. In zwei Entscheidungen aus Hamburg (VG Hamburg, Beschl. v. 19.05.2020, 3 E 2054/20) und Berlin (OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 20.05.2020, 11 S 49.20 und 11 S 52.20), noch nicht veröffentlicht) ging es jüngst um das Recht von Spielhallenbetreibern, ihre Hallen wieder zu öffnen. Es zeigt sich hier, dass die vielfach zu hörende Sentenz, einen Lockdown zu verordnen sei einfacher als ihn wiederaufzuheben, richtig ist. Die Vorsicht der Länder bei der Aufhebung des Schutzmaßnahmen ist infektionspolitisch nachvollziehbar, sie muss trotz aller Ungewissheit aber rechtlichen Maßstäben genügen, an die das VG Hamburg in seiner Entscheidung erinnert. Hier soll ein kurzer Blick auf diese Entscheidung geworfen werden, die auf Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung eines Hamburger Spielhallenbetreibers ergangen ist.
Dass es dort, wo es um die rechtliche Behandlung von Betrieben des Glücksspielgewerbes, namentlich von Spielhallen geht, mit den Standards der rechtsstaatlichen Argumentation nicht immer ganz weit her ist, ist bekannt. Häufig werden aus politischen Zielvorstellungen unmittelbar juristische Argumente geformt, ohne dass diese zuvor angemessen in Begriffe und Maßstäbe des Rechts überführt und so zu juristischen würden. Ungeachtet der politisch-gesellschaftlichen Bewertung von Glücksspielangeboten, die bekanntlich und legitimerweise ebenso divers wie kontrovers ist, muss die Regulierung des Glücksspiels, sei es im Großen und Ganzen (des Glücksspielstaatsvertrags) oder im kleinen behördlicher Zulassungs-, Schließungs- oder, wie hier, coronabedingter Öffnungsentscheidungen, den Beweis erbringen, die Übersetzung der politischen Präferenzentscheidung in Wertungen und Strukturen des Rechts zu erbringen. Unter diesem Aspekt ist die Entscheidung des VG Hamburg interessant, weniger aufgrund ihres rechtlich zwingenden Ergebnisses, als unter dem Aspekt, dass sie einen Einblick in die Argumente des beklagten Hamburger Senats gibt.
Das VG Hamburg entschied im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, dass die geltende Hamburger Corona-Verordnung, nach deren § 5 Abs. 1 Nr. 5 Spielhallen nicht für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden dürfen, das Recht des klagenden Spielhallenbetreibers aus der erteilten Genehmigung sowie aus Art. 12 Abs. 1 iVm Art. 19 Abs. 3 GG verletze. Dabei ergibt sich das Problem nicht aus der Schließungsanordnung an sich, vielfach haben Gerichte landauf, landab frühe Klagen von Gewerbetreibenden gegen Schließungsmaßnahmen abgewiesen. Der Rechtsverstoß ergibt sich nach dem VG Hamburg vielmehr aus einer Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG. Zwar sei gegen das „tastende Vorgehen“ der Länder, das nicht allen Gewerbetreibenden zeitgleich die Wiedereröffnung ihrer Unternehmen erlaube, nicht grundsätzlich etwas einzuwenden. Die Ungleichbehandlungen müssten aber sachlich gerechtfertigt und – hier spricht die sog „neue Formel“ – auch verhältnismäßig sein. Gemessen an diesem Maßstab sei die vorübergehend ausnahmslose Schließung von Spielhallen bei gleichzeitiger Wiederöffnung von Gaststätten nicht zu rechtfertigen. Konkret hatte der Antragsteller ein Hygienekonzept vorgelegt, das mit dem nach der Hamburger Verordnung für Gaststätten erforderlichen Hygienekonzept vergleichbar war und das u.a. Mindestabstände, die Reinigung von Geräten und die Höchstzahl zugelassener Spieler betraf. Auf dieser Grundlage, so das VG Hamburg, sei die Situation zwischen Gaststätten und Spielhallen nicht so verschieden – namentlich, was die Aufenthaltsdauer betreffe –, dass die Ungleichbehandlung gerechtfertigt sei. Die begehrte einstweilige Anordnung wurde also erlassen.
Zurückgewiesen hat das VG den Vortrag des antragstellenden Spielhallenbetreibers, die Entscheidung gegen die Öffnung von Einrichtungen des Glücksspielgewerbes beruhe auf einem sozialen Unwerturteil der Länder bzw. des Landes Hamburg. Die These dahinter lautet, die Länder machten mit Mitteln des Infektionsschutzrechts Glücksspielpolitik und nutzten die Gelegenheit, durch strenge Corona-Auflagen für Spielhallen und andere Glücksspieleinrichtungen, das ungeliebte Gewerbe zur Ader zu lassen (und vielleicht auch hier und da sogar ganz trockenzulegen). Dass das der Fall ist, wird sich mit dem VG Hamburg in beweisrechtlich verwertbarer Weise kaum sicher feststellen lassen. Die Absprachen von Bund und Ländern und die Corona-Maßnahmen der einzelnen Länder lassen das in der Tat nicht erkennen.
Dass der Antragsteller mit dem Sachvortrag möglicherweise aber näher an der Wahrheit gewesen sein könnte, als dem Hamburger Senat lieb sein kann, hat, so macht es den Anschein, auch das Verwaltungsgericht so gesehen. Denn dass die Stadt Hamburg in der Tat mit zweierlei Maß zu messen scheint, ergibt sich aus dem vom Gericht dann in wörtlichen Zitaten wiedergegebenen Sachvortrag, nach dem, so der Senat, die Atemfrequenz beim Glücksspiel aufregungsbedingt höher und eine limitierte Selbstkontrolle der Spieler zu vermuten sei, was die Infektionsgefahr erhöhe; als wäre das, wenn es denn stimmt, bei alkoholisierten Gaststättenbesuchern nicht der Fall. Auch sei es lebensfremd zu unterstellen, so die Stadt Hamburg, dass Gäste in Spielhallen nicht miteinander kommunizierten, es deswegen also zu Verletzungen des Abstandsgebots kommen werde – wohingegen Gaststätten bekanntlich Orte der kommunikativen Askese sind, in denen dann konsequenterweise auch, anders als im Hygienekonzept des Antragstellers für seine Spielhalle, keine Masken getragen werden müssen - § 13 Abs. 4 Nr. 3 der Hamburger Verordnung sieht das nur für das Personal in Gaststätten vor. Auch sei nicht sicher, so die Stadt schließlich, dass die Spielgeräte, wie vom Antragsteller vorgetragen, gründlich gereinigt würden – während Tische in Restaurants bekanntlich stets Orte größter Reinlichkeit sind. Gefolgt ist das VG Hamburg dieser Argumentation zu recht nicht.
Die Entscheidung zeigt: Die Wirklichkeit der Rechtsstaatlichkeit erweist sich nicht allein in großen verfassungsrechtlichen Disputationen und verfassungsgerichtlichen Entscheidungen, sondern zuerst und vor allem in der Begründungsqualität behördlichen und gerichtlichen Handelns vor Ort. In ihr dürfen sich angenommene oder tatsächliche politische Zielvorstellungen nur insoweit niederschlagen, wie sie selbst geltendes Recht geworden sind oder wie ihre Übersetzung in rechtlich formulier- und belastbare Argumente gelingt. Das gilt vor allem dann, wenn es um die Beschränkung grundrechtlich gewährleisteter Freiheiten geht. Gelingt diese Übersetzung nicht, so wie hier, muss sich die grundrechtliche Freiheit gegen die Beschränkung durchsetzen. Das VG Hamburg hat richtig entschieden.