Neue Glücksspiele! Neue Besteuerung! Neue Probleme?

 

Florian Tautz

Dienstag, 19.10.2021

I.            Neue Glücksspiele! Neue Besteuerung!

Am 1.7.2021 trat der neue Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV) der Länder in Kraft. Damit wurden erstmals für das ganze Bundesgebiet virtuelle Automatenspiele und Online-Poker legalisiert. Für Online-Casinospiele können die Länder Konzessionen vergeben. Mit der Legalisierung neuer Glücksspielformen stellte sich für den Gesetzgeber die Frage nach einer geeigneten Besteuerung. Der insoweit vorgelegte, auf eine Initiative von Nordrhein-Westfalen zurückgehende Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Rennwett- und Lotteriegesetzes wurde kontrovers diskutiert. Zwischenzeitlich ist das Gesetz verkündet worden und ebenfalls am 1.7. in Kraft getreten.

 

Im Mittelpunkt der Diskussionen steht das gewählte Besteuerungssystem. Zur Besteuerung von Glücksspielumsätzen gibt es zwei Ansätze: Der eine Ansatz sieht die Besteuerung des Bruttospielertrags vor, z.B. für Spielautomaten in Spielhallen nach dem Umsatzsteuergesetz. Der andere Ansatz bestimmt – unabhängig von den Verlusten des Spielers – eine Besteuerung des Spieleinsatzes, z.B. bei Sportwetten nach § 17 Abs. 2 S. 2 RennwLottG a.F. Die Neufassung des RennwLottG wendet auf Online-Poker und virtuelles Automatenspiel das zweite Modell an und legt eine Besteuerung des Spieleinsatzes i.H.v. 5,3% fest. Für virtuelles Automatenspiel war anfangs sogar ein Steuersatz i.H.v. 8% im Gespräch. Die Besteuerung der Online-Casinospiele bleibt den Ländern überlassen. Zweitlotterien werden trotz fehlender Erlaubnisfähigkeit steuerlich mit Lotterien oder Ausspielungen gleichgesetzt und somit auch nach dem RennwLottG besteuert. Wie sich aus § 40 AO ergibt, ist die Illegalität des Angebotes für die Steuerhebung unerheblich.

 

II.            Neue Probleme?

Die Neuregelungen stehen massiv in der Kritik (Stellungnahmen pro und contra z.B. im Protokoll zur Anhörung im Finanzausschuss des Bundestages, abrufbar: hier).

 

1.      Legale Anbieter nicht wettbewerbsfähig und Verfehlung des Kanalisierungsziels?

Einige wie etwa Justus Haucap beurteilen die neue Besteuerung als zu hoch. Die Spieleinsatzsteuer i.H.v. 5,3% entspreche bei einer Ausschüttungsquote i.H.v. 96% einer Bruttospielertragsteuer i.H.v. 125%. Die bisherigen Ausschüttungsquoten i.H.v. ca. 96% könnten daher nicht gehalten werden. Durch die Senkung der Ausschüttungsquoten auf ca. 90% gehe die Wettbewerbsfähigkeit verloren: Niedrigere Ausschüttungsquoten führten zu höheren Verlusten. Bei unveränderten Einsatzhöhen sinke damit die durchschnittliche Spieldauer, die aber für den Spieler einen wesentlichen, entscheidungserheblichen Faktor darstelle, ein bestimmtes Spiel wahrzunehmen. Spieler würden daher zu illegalen Anbietern wechseln. Die Anknüpfung an den Spieleinsatz sei daher nicht überzeugend. Empfohlen wird vielmehr die Besteuerung des Bruttospielertrags i.H.v. 15% bis 20% (siehe zum Ganzen etwa: hier). Sportwetten würden zwar schon länger nach dem Spieleinsatz besteuert, allerdings seien die Ausschüttungsquoten dort wesentlich geringer. Bei Online-Glücksspiel hingegen verringere eine Besteuerung des Spieleinsatzes die Attraktivität legaler Anbieter und gefährde so das Kanalisierungsziel. Kritiker befürchten eine Kanalisierung von unter 50%. Der Wechsel zwischen digitalen Angeboten falle besonders leicht, daher könne auch kein Vergleich z.B. mit Erfolgsquoten bei der Regulierung illegaler Zigaretten angestellt werden. In diesem Zusammenhang wird dann auch die Frage aufgeworfen, ob das RennwLottG n.F. als Bundesgesetz dem Regulierungskonzept der Länder zuwiderlaufe. Deutschland gehe hier einen Sonderweg. Auch Frankreich sei vom Konzept einer Spieleinsatzsteuer für Online-Poker abgerückt.

 

Andere halten das Anknüpfen an den Spieleinsatz und auch den Steuersatz in der Höhe für sachgerecht. Der Steuersatz orientiere sich an der Summe aus der Umsatzsteuer und der Vergnügungsteuer im terrestrischen Bereich von ca. 5 € auf 100 € Spieleinsatz. Bei der Besteuerung des Bruttospielertrags könne der Anbieter durch Veränderung der Ausschüttungsquote selbst festlegen, wie hoch die Steuer sei. Dem lässt sich allerdings entgegenhalten, dass bei sehr hohen Ausschüttungsquoten auch die Gewinne der Anbieter geringer ausfallen dürften. Die Besteuerung des Spieleinsatzes ermöglicht aber, dem Anbieter indirekt eine Maximalausschüttungsquote vorzuschreiben und so die Attraktivität des Angebotes zu beeinflussen. Auf diese Weise wird aber auch das von den Ländern geschaffene Verhältnis zwischen Attraktivität und Spielerschutz verändert. Der Schluss liegt daher nahe, dass eine gleichzeitige und aufeinander abgestimmte Ausarbeitung des GlüStV und des RennwLottG n.F. sinnvoller gewesen wäre. Der Befürchtung, Spieler könnten den Schwarzmarkt vorziehen, wird entgegengehalten, dass diese den legalen Markt aufgrund der Sicherheit, Gewinne ausgezahlt zu bekommen, bevorzugten. Hinzu komme, dass nur legalen Anbietern Werbung erlaubt sei. Zu bedenken ist demgegenüber, dass Marktmechanismen auch im illegalen Markt greifen, sodass Anbieter bei Nichtauszahlung Kunden verlieren.

 

2.      Droht die Kommission?

Ganz unabhängig von alledem ist die Vereinbarkeit der neuen Besteuerung mit dem Unionsrecht umstritten (siehe dazu z.B. die Stellungnahmen von István Cocron, Ronald Reichert, Justus Haucap, David Hummel, Markus Ruttig und Renatus Zilles im Protokoll zur Anhörung im Finanzausschuss des Bundestages).

 

Zum einen wird vorgetragen, die Notifizierungspflicht nach der „EU-Informationsrichtlinie“ (Richtlinie (EU) 2015/1535) sei nicht erfüllt worden. Die neue Vorschrift sei „eine onlinespezifische Regelung, die sich an Dienste der Informationsgesellschaft“ richte. Es werde eine spezielle Besteuerung für den Online-Bereich eingeführt, die sich von der Besteuerung im terrestrischen Bereich unterscheide. Von anderer Seite wird eine Notifizierungspflicht verneint und auf die Entscheidung des EuGH in der Rs. Berlington Hungary verwiesen. Art. 5 Abs. 1 UAbs. 1 der Richtlinie (EU) 2015/1535 verpflichtet die Mitgliedstaaten grds. dazu, Entwürfe technischer Vorschriften an die Kommission zu übermitteln, sodass die Einordnung als technische Vorschrift relevant ist. Der EuGH hat insoweit noch in Bezug auf die Vorgängernorm (Richtlinie (EG) 98/34) entschieden, dass eine bloße Regelung über die Besteuerung zumindest nicht die Voraussetzungen einer technischen De-facto-Vorschrift erfüllt (EuGH, Urt. v. 11.6.2011, Rs. C-98/14 - Berlington Hungary, Rn. 96 f.). Der EuGH diskutiert die Qualifizierung als technische De-facto-Vorschrift, spricht aber später allgemein von technischen Vorschriften, sodass nicht endgültig klar wird, ob der Gerichtshof eine Einordnung als technische Vorschrift generell oder nur als technische De-facto-Vorschrift ablehnt. Die Frage, ob es sich bei der Neuregelung um keine andere technische Vorschrift nach Art. 1 Abs. 1 Buchst. f) S. 1 der Richtlinie (EU) 2015/1535 handelt, wird damit also nicht sicher beantwortet.

 

Die Kommission könnte die neue Besteuerung zum anderen als staatliche Beihilfe nach Art. 107 Abs. 1 AEUV einordnen. Eine Beschwerde ist bereits anhängig. Geltend gemacht wird, dass nach dem Bruttospielertrag besteuerte Spielbanken und Spielautomaten bevorzugt würden. Ein gewichtiges Indiz in diese Richtung könnte nach Haucap und Cocron der Beschluss der Kommission sein, mit dem eine von Dänemark geplante Maßnahme 2011 als Beihilfe qualifiziert wurde (Kommission, Beschl. v. 20.9.2011, Az. C(2011) 6499, ABl. L 68/3). Andere schätzen die beihilferechtliche Problematik als weniger gravierend ein. Bei der Festlegung der Bedingungen und Beschränkungen für die Umsatzsteuerbefreiung werden dem Mitgliedstaat Freiheiten eingeräumt. Diese seien aufgrund der großen Unterschiede zwischen den Angeboten nicht derart einzuschränken, dass das terrestrische und das Online-Automatenspiel in gleicher Weise besteuert werden müssten.

 

3.      Verfassungsrechtlich problematisch?

Ein drittes Problem ist das Verfassungsrecht. Eine Ansicht hebt die Wettbewerbsvorteile des Online-Angebots gegenüber dem terrestrischen Angebot hervor und schließt daraus, das Online-Angebot dürfe aus gleichheitsrechtlichen Gesichtspunkten steuerlich nicht bessergestellt werden. Auch wird auf die zusätzliche Belastung der Anbieter terrestrischer Spielformen durch die Vergnügungsteuer verwiesen, sodass das Online-Angebot nicht nach dem gleichen Besteuerungssystem besteuert werden dürfe. Die Pflicht, natürliche Wettbewerbsvorteile auszugleichen, wird allerdings nicht von Art. 3 Abs. 1 GG vorgegeben. Eine Vergnügungsteuer auf Glücksspiel wird nicht in allen Ländern erhoben und zudem nicht durch den Bundesgesetzgeber festgelegt.

 

4.      Umsatz- oder doch Ertragsteuer?

Hummel betrachtet die Steuer weniger als Umsatzsteuer (eine indirekte Steuer) denn als umsatzbasierte Ertragsteuer (eine direkte Steuer). Eine solche Besteuerung sieht er im Bereich des Möglichen, der Gesetzgeber solle die Steuer dann aber auch entsprechend bezeichnen.

 

III.            Ausblick

Mit dem neuen RennwLottG wählt der Gesetzgeber den schwierigeren von zwei möglichen Wegen. Insbesondere das denkbare Urteil der Unionsrechtswidrigkeit hängt wie ein Damoklesschwert über dem neuen Besteuerungsmodell. Rechtssicherheit sieht anders aus. Rein praktisch wird der Erfolg des neuen Systems maßgeblich davon abhängen, ob die illegalen Angebote erfolgreich abgeblockt werden können. Eine Prognose zu den zukünftigen Präferenzen der Spieler ist schwierig. Sollte die Kommission nicht eingreifen, wird es zunächst bei der Besteuerung bleiben. Schlüsse aus dem Verhalten der Spieler lassen sich erst nach einer gewissen Zeit ziehen. Es wird sich zeigen, ob und gegebenenfalls inwieweit das Ziel des GlüStV, ein hinreichend attraktives Angebot zu schaffen und so die Spieler zu diesem Angebot hin zu kanalisieren, durch diese Besteuerung beeinträchtigt wird.