Lootboxen: Glücksspielregulierung im Gewand des europäischen Verbraucherschutzes?

Leonie Schulz

Donnerstag, 29.16.2023

Mit einem prognostizierten weltweiten Umsatz von 356,75 Mrd. € für das Jahr 2023 ist er größer als der Markt für Musik oder Film: der Videospielsektor. Auch in Europa ist er einer der am schnellsten wachsenden Märkte im Unterhaltungsbereich. Es ist eine Branche mit großem Potential, aber auch mit Risiken. Trotz der enormen Größe gibt es in vielen Bereichen noch keine Regulierung. Dem soll sich nun die europäische Kommission widmen.

 

Das Europäische Parlament hat am 18.1.2023 mit 577 zu 66 Stimmen bei 15 Enthaltungen den Initiativbericht des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz für ein europäisches Binnenmarktkonzept hinsichtlich des Verbraucherschutzes bei Online-Videospielen angenommen. Ein solcher Initiativbericht wird von einem Ausschuss des Parlaments erarbeitet und dann als Entschließungsantrag ins Parlament eingebracht. Um einen Bericht auszuarbeiten, braucht der Ausschuss die Zustimmung der Konferenz der Präsidenten. Ein Initiativbericht kommt jedoch nur in Betracht, wenn das Unionsrecht dem Parlament ein Initiativrecht überträgt. Die hier in Rede stehende Entschließung des Parlaments (P9_TA(2023)0008) über die Annahme des Binnenmarktkonzeptes für den Verbraucherschutz in Online-Videospielen soll nun dem Rat und der Kommission übermittelt werden. Die Kommission muss dann einen Vorschlag vorlegen oder ihre Untätigkeit begründen.

 

Der Bericht betont positiv die Bedeutung des Videospielsektors: Videospiele dienen nicht nur als Freizeitbeschäftigung, sondern auch als geistige Übung und haben gerade während der Corona-Pandemie die Möglichkeiten für soziale Interaktionen geschaffen. Zudem hat die Branche aufgrund ihres schnellen Wachstums ein hohes Potential für die Schaffung von Arbeitsplätzen.

 

Gleichzeitig fordert der Bericht aber auch deutlich eine strengere Regulierung. Zunächst ruft das Parlament sowohl die Kommission als auch die nationalen Verbraucherschutzbehörden dazu auf, die Beachtung und Durchsetzung des EU-Verbraucherrechts im Bereich der Videospiele sicherzustellen. Des Weiteren wird besonders das Problem Lootboxen hervorgehoben, für die schon lange eine stärkere Regulierung gefordert wird, um die Spieler, insbesondere Minderjährige, zu schützen. Bei den Lootboxen handelt es sich um „virtuelle Kisten“ innerhalb eines Spiels, die von den Nutzern erspielt sowie mittels virtueller oder realer Währung gekauft werden können. Per Zufall erhält der Spieler dann virtuelle Gegenstände, welche im Spiel genutzt werden können, beispielsweise Kleidung, Waffen oder digitale Sammelbilder. Aktuell gibt es auf europäischer Ebene nur die allgemeinen Verbraucherschutzvorschriften, welche grundsätzlich auch für Lootboxen gelten. Im Dezember 2021 hat die EU-Kommission neu gefasste Leitlinien zur Auslegung der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken (UGP-RL) veröffentlicht, in denen sie sich den aggressiven Marketingstrategien und dem Thema Lootboxen widmet. Bei den von Spielanbietern zur Steigerung der Ausgaben des Spielers eingesetzten Algorithmen und manipulativen Elementen könnte es sich, insbesondere wenn sie kombiniert werden, um eine aggressive Geschäftspraxis (Art. 8, 9 UGP-RL) handeln. Auch soll die Informationspflicht (Art. 7 UGP-RL) beim Kauf von Lootboxen gelten. Während einzelne Länder sich der Regulierung schon gewidmet haben (s.u.), wird nun die Kommission vom Parlament aufgerufen, den Verkauf von Lootboxen zu untersuchen und ein europäisches Konzept zu entwickeln.

 

Ein wesentlicher Punkt im öffentlichen Diskurs ist die Ähnlichkeit zum Glücksspiel und die damit einhergehenden Risiken solcher Spielmechaniken. Auf mitgliedstaatlicher Ebene ist umstritten, ob es sich bei Lootboxen um Glücksspiel handelt. In Belgien sieht die Glücksspielbehörde in bezahlten Lootboxen Glücksspiel. Mangels Lizensierungsmöglichkeit herrscht dort seitdem ein faktisches Verbot, sodass beispielsweise der Erwerb von Lootboxen im Spiel Fifa nur noch gegen erspielte In-Game Währung möglich ist. Auch die Niederländische Glücksspielbehörde ordnete Lootboxen, bei denen die Möglichkeit besteht, die Inhalte zu verkaufen, als Glücksspiel ein. Anfang des Jahres 2022 hat jedoch das oberste Verwaltungsgericht Raad von State ein dies bestätigendes Urteil aufgehoben. Es begründet dies damit, dass sich die Möglichkeit, die Gewinne auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen, üblicherweise auf den Verkauf ganzer Accounts beschränke und auch nicht die übliche Verwendung darstelle. Zudem handele es sich bei Lootboxen nicht um ein eigenes Spiel, sondern diese würden dem Geschicklichkeitsspiel nur ein Zufallselement hinzufügen. Da aufgrund des Urteils davon auszugehen ist, dass Lootboxen nicht unter die Glücksspielregulierung fallen, haben sechs Parteien im Juni 2022 einen Gesetzesentwurf eingebracht, der sich dem Verbot von Lootboxen widmet. Auch die spanische Regierung hat am 1.7.2022 einen Gesetzesentwurf veröffentlicht, der eine eigenständige Regulierung von Lootboxen vorsieht. In Österreich hingegen gibt es noch keine spezielle Gesetzgebung zu Lootboxen. Jedoch hat kürzlich ein Bezirksgericht entschieden, dass es sich bei den Lootboxen im Spiel Fifa um Glücksspiel handele und Sony zur Rückzahlung des Kaufpreises verurteilt. Sony hat dagegen kein Rechtsmittel eingelegt, sodass die Entscheidung mittlerweile rechtskräftig ist. Auch wenn man sich in den Mitgliedsstaaten uneinig ist, ob es sich nun bei Lootboxen um Glücksspiel handelt oder nicht, zeigt die Diskussion noch einmal die Erforderlichkeit einer Regulierung auf (vgl. zum Diskurs in Deutschland: Rechtliche Überlegungen zum (simulierten) Online-Glücksspiel und unsere Blogbeiträge zu Lootboxen und Coin-Master).

 

Unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes sehen die Parlamentsmitglieder die von Videospielen teilweise verwendeten In-Game-Kaufsysteme als problematisch an, da diese aufgrund aggressiver Marketingstrategien das Potential haben, den Verbraucher in seiner Entscheidungsfreiheit einzuschränken. Gerade die Designs sind oft bewusst manipulativ gestaltet, um den Verbraucher zu finanziellen Entscheidungen, die er ohne diese Beeinflussung nicht getroffen hätte, zu bewegen. Dies wird besonders in der vom Parlament in Auftrag gegebenen Studie deutlich, welche eine strenge Regulierung von Lootboxen unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes fordert, gerade im Hinblick auf die oft minderjährigen Nutzer von Videospielen. Die Studie zeigt auf, wie die Videospielindustrie äußerst problematische manipulative Taktiken verwendet, um ihren eigenen Gewinn insbesondere durch den Verkauf von Lootboxen zu steigern. Es werden bewusst kognitive Schwachstellen durch irreführendes Design ausgenutzt und virtuelle Währung verwendet, um die tatsächlichen Kosten zu verschleiern. Die Angebote gelten oft nur zeitlich begrenzt, um so den Spieler aufgrund seiner „fear of missing out“ zum Kauf zu bewegen. Zudem wird ganz bewusst die „sunk cost fallacy“ ausgenutzt, indem dem Spieler zu Beginn des Spiels gratis Währung oder Lootboxen zur Verfügung gestellt werden, damit er mehr Zeit in das Spiel investiert. Denn je mehr der Spieler bereits an Zeit oder auch Geld eingesetzt hat, desto eher investiert er weiterhin in das Spiel, damit sich seine vorherigen Bemühungen auch auszahlen. Hinzu kommt, dass viele Spieler glauben, jede geöffnete Lootbox steigere die Chancen auf einen Gewinn in der nächsten, obwohl sich die Wahrscheinlichkeiten für jede Lootbox einzeln berechnen, sog. „gamblers fallacy“.

 

Dem möchte das Parlament nun gegensteuern, indem es die Kommission auffordert, einen Gesetzesvorschlag zur Anpassung der derzeitigen Regelungen auf EU-Ebene oder eine neue separate Regulierung für Online-Videospiele vorzulegen. Das Parlament verweist auch auf das System P.E.G.I. (Pan-European Game Information) zur Alterseinstufung von Videospielen, das von dem Interessenverband Interactive Software Federation of Europe (ISFE) entwickelt wurde. Die Kommission soll prüfen, ob eine Eingliederung in das Europäische Rechtssystem möglich ist, um so den Binnenmarkt weiter zu vereinheitlichen.

 

Im Bereich der Glücksspielregulierung hat die EU allerdings keine Kompetenz, sodass eine Regulierung den Mitgliedstaaten überlassen bleibt. Trotzdem hat sich die Kommission mehrfach im Rahmen von Mitteilungen oder Empfehlungen mit dem Thema Glücksspiel befasst und 2011 ein Grünbuch zum Thema Online-Glückspiel angenommen. Solche Grünbücher befassen sich mit mittel- und langfristigen politischen Zielen. Sie geben Experten, Interessenvertretern aber auch der breiten Öffentlichkeit die Möglichkeit, sich an den Beratungen zu beteiligen, um so die besten Argumente in den politischen Entscheidungsprozess einfließen zu lassen. Gegebenenfalls können sie als Anstoß für die Erarbeitung von Gesetzesvorschlägen dienen. Explizit zum Thema Lootboxen gab es bis jetzt jedoch noch keine wesentlichen Unternehmungen der EU. Vielleicht auch, um das Kompetenzproblem zu umgehen, wird im Initiativbericht eine Regulierung unter Verbraucherschutzgesichtspunkten gefordert. Fraglich erscheint, ob neben einer Regulierung unter Verbraucherschutzgesichtspunkten auf europäischer Ebene noch die Möglichkeit einer nationalen Regulierung im Rahmen der jeweiligen Glücksspielgesetze bleibt. Die aktuellen Verbraucherschutzvorschriften, insbesondere die UGP-RL, lassen die nationalen Vorschriften zum Glücksspiel unberührt. Ob dies in Bezug auf die Lootboxen so bleibt, ist abzuwarten. Insbesondere für die Spieleanbieter scheint eine einheitliche europaweite Regulierung eigentlich von Vorteil, da es ihnen nur so möglich ist, ein Spiel auf dem gesamten europäischen Markt anzubieten und dies nicht, wie aktuell in Belgien, modifizieren zu müssen. Auch die e-Sportler in Belgien stellt die aktuelle divergierende Rechtslage vor Hürden, sodass eine europaweit einheitliche Regulierung durchaus zu befürworten wäre. Man könnte darin einen ersten kleinen Schritt in Richtung einer europäischen Glücksspielregulierung sehen, sofern man Lootboxen als Glücksspiel einordnet.