Coin Master - Was tun mit simuliertem Glücksspiel?

Florian Tautz, Tobias Lüder

Donnerstag, 05.11.2020

Coin Master – Was tun mit simuliertem Glücksspiel?

Der TV-Moderator Jan Böhmermann hat im „NEO Magazin Royale“ in der Folge vom 10. Oktober 2019 die Spiele-App Coin Master scharf kritisiert. Der Beitrag „Coin Master - Abzocke mit Fun“ (abrufbar unter https://youtu.be/hTeTjx4k9jQ) hat hohe Wellen geschlagen. U.a. wurde das Spiel von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien und von der Landesmedienanstalt NRW überprüft.

 

I. Was ist Coin Master?

 

Coin Master wird als Online-Game auf dem Smartphone gespielt. Ziel ist es, der sog. Coin Master zu werden. Es gilt, Dörfer zu errichten, fremde anzugreifen und die verschiedenen Level zu durchlaufen. Um die Gebäude zu finanzieren, sind mit einem Zahlungsmittel vergleichbare Coins notwendig. Sie können durch die Betätigung einer einem einarmigen Banditen ähnelnden Maschine erlangt werden. Je nach Konstellation der Symbole erhält man Coins, kann andere Spieler angreifen und deren Gebäude beschädigen (wofür man ebenfalls Coins erhält), anderen Spielern in Überfällen Coins stehlen oder bekommt einen Schutzschild, um sich selbst vor Angriffen zu schützen. Pro Stunde erhält man jedoch nur fünf kostenfreie Versuche, welche aber nicht mit Ablauf der jeweiligen Stunde verfallen, sondern bis zu einer Höchstsumme von fünfzig addiert werden. Sind jedoch alle Versuche verspielt, muss man warten oder In-App-Käufe mit Echtgeld vornehmen, um weitere Versuche oder Coins zu bekommen. Durch spielerische Erfolge oder Käufe kann man auch deutlich mehr als fünfzig Versuche sammeln. Der einarmige Bandit steht bei dem Spiel im Mittelpunkt. Zudem kann im späteren Spielverlauf einmal pro Tag kostenlos ein Glücksrad gedreht werden. Bei den anderen Spielelementen stehen Taktik oder Geschick wohl nicht im Vordergrund. Wie der Spieler die Dörfer zu errichten hat, ist vorgegeben. Angriffe und Überfälle sind nach einfachsten Konzepten mit wenig Gestaltungsspielraum für den Spieler aufgebaut.

 

II. Kritik aus den Medien

 

Die App wird insb. mit Blick auf den Jugendschutz kritisiert. Böhmermann weist auf die kindgerechte Aufmachung in comichaftem Design und die v.a. bei Jugendlichen bekannten Werbepartner hin. Obwohl es sich dabei um sog. simuliertes Glücksspiel handele und es somit die gleichen oder zumindest ähnliche Gefahren wie „echtes“ Glücksspiel berge, werde Coin Master als Abenteuer- oder Gesellschaftsspiel deklariert. Zeitweise wurde Coin Master als Spiel ohne Altersbeschränkung eingestuft. Mittlerweile ist es jedoch erst ab USK 16 freigegeben. Auch das Unternehmen, das Coin Master vertreibt, wurde beleuchtet. Dabei stelle sich heraus, dass zumindest auch aus der Glücksspielbranche bekannte Investoren beteiligt seien.

 

III. Glücksspielrechtliche Einordnung im Sinne des Glücksspielstaatsvertrages

 

Handelt es sich bei Coin Master tatsächlich nur um ein simuliertes Glücksspiel oder liegt sogar tatsächliches Glücksspiel im Sinne des Glücksspielstaatsvertrages vor? Nach § 3 Abs. 1 GlüStV liegt Glücksspiel vor, wenn im Rahmen eines Spiels für den Erwerb einer Gewinnchance ein Entgelt verlangt wird und die Entscheidung über den Gewinn ganz oder überwiegend vom Zufall abhängt. Die Entscheidung über den Gewinn hängt in jedem Fall vom Zufall ab, wenn dafür der ungewisse Eintritt oder Ausgang zukünftiger Ereignisse maßgeblich ist. Fraglich erscheint, ob der Spielausgang auf Zufall basiert. Die Algorithmen im Rahmen des simulierten Glücksspiels sind nicht zufallsbasiert, sondern zielen darauf ab, den Spieler langfristig an das Spiel zu binden. Sollten solche Algorithmen bei Coin Master verwendet werden, könnte man annehmen, dass kein Zufall vorliegt. Es wird aber auch vertreten, dass selbst eine Steuerung durch den Anbieter dem Zufall nicht entgegenstehe. Die fehlende Möglichkeit des Spielers zur Einflussnahme auf die Entscheidung über Gewinn und Verlust genüge dem Zufallselement. Je nach Ansicht kann also das Kriterium des Zufalls bejaht oder verneint werden.

Weiterhin kann aber auch der Erwerb einer Gewinnchance bei Coin Master bezweifelt werden. Der Spieler erhält Coins, die er im Rahmen des Spiels ausgeben kann. Solange sich dieser Gewinn aber auf die Spielwelt beschränkt und nicht tatsächlich in einen wirtschaftlichen Vorteil umwandeln lässt, liegt unproblematisch kein Glücksspiel vor. Es fehlt die definitionsgemäß zu verlangende Gewinnchance. Allerdings gibt es Plattformen, auf denen Coin Master Accounts erworben werden können (ähnlich ist es beim In-Game-Verkauf von Lootboxen, siehe hierzu schon https://glueg.org/blog/406-gluecksspiel-und-lootboxen). Somit lassen sich spielerische Erfolge tatsächlich in wirtschaftliche Vorteile umwandeln. Ob damit eine Gewinnchance vorliegt, wird ebenfalls unterschiedlich beurteilt und z.B. daran festgemacht, ob der Sekundärmarkt durch den Spieleanbieter toleriert wird oder nicht.

Nicht zuletzt muss die Frage aufgeworfen werden, ob überhaupt ein für die glücksspielrechtliche Qualifikation notwendiges Entgelt verlangt wird. Der einarmige Bandit in Coin Master ermöglicht pro Stunde fünf kostenfreie Bedienungen. Für weitere Spiele müssen jedoch In-App-Käufe getätigt werden. Nach dem BVerwG (BVerwG, Urt. v. 16.10.2013 - 8 C 21.12) ist als Entgelt im Sinne des § 3 Abs. 1 S. 1 GlüStV ein Einsatz nach dem strafrechtlichen Glücksspielbegriff zu verstehen. Nach der Definition, die das BVerwG aus einem Beschluss des BGH (BGH, Beschl. v. 29. 09. 1986 - 4 StR 148/86) zitiert, ist ein Einsatz bei einer Leistung gegeben, „die in der Hoffnung erbracht wird, im Falle des Gewinnens eine gleiche oder höherwertige Leistung zu erhalten, und in der Befürchtung, dass sie im Falle des Verlierens dem Gegenspieler oder dem Veranstalter anheim fällt“. Die Leistung, die im Rahmen eines In-App-Kaufs bei Coin Master erbracht wird, fällt aber unabhängig vom Spielausgang an das Unternehmen. Somit stellt sich die Frage, ob dennoch ein Einsatz im Sinne der Definition vorliegen kann. Hiergegen spricht Folgendes: Der Spieler befürchtet nicht, dass der Veranstalter im Falle eines Verlierens die Leistung erlangt. Vielmehr weiß der Spieler sogar, dass dies unabhängig vom Spielausgang geschieht. Der Veranstalter macht immer einen wirtschaftlichen Gewinn i.H. des vollen Einsatzes, er kann die digitalen Inhalte ohne Kosten unbegrenzt produzieren. Zwar wird die Verneinung eines Einsatzes anhand dieser Argumentation mit Blick auf den Spielerschutz abgelehnt (Klenk, GewArch 2019, 222-227). Wendet man aber den strafrechtlichen Glücksspielbegriff des BGH an, welchen das BVerwG in seiner Entscheidung zitiert, scheint sie zumindest naheliegend. Der BGH hat in einer späteren Entscheidung (BGH, Urt. v. 8.8.2017 − 1 StR 519/16) den Einsatz etwas weiter definiert, nämlich als „Vermögensleistung, die in der Hoffnung auf Gewinn und mit dem Risiko des Verlustes an den Gegenspieler oder Veranstalter erbracht wird“. Allerdings zitiert er in unmittelbarem Zusammenhang die vorhergehende Entscheidung von 1986, ohne aber eine Abwendung vom ursprünglichen ausführlicheren Begriff erkennen zu lassen. Je nach Ansicht lässt sich Coin Master also als echtes Glücksspiel oder nur als simuliertes Glücksspiel qualifizieren. Allerdings bedarf es wohl eines erhöhten Argumentationsaufwandes, um Coin Master tatsächlich als „echtes“ Glücksspiel im Sinne des § 3 GlüStV zu qualifizieren. Zurecht wird Coin Master daher lediglich als simuliertes Glücksspiel bezeichnet.

 

IV. Regulierungsbedürftigkeit von simulierten Glücksspielen

 

Sieht man in Coin Master ein echtes Glücksspiel, wäre das Spiel nach § 4 Abs. 4 GlüStV verboten. Als simuliertes Glücksspiel unterläge es keiner Regulierung, obwohl im simulierten Glücksspiel offenbar ebenfalls große Gefahren liegen. Gerhard Meyer (ZfWG 2015, 409-410) sieht eine Erhöhung der „Verfügbarkeit und Attraktivität von Glücksspielen“ und die Verbreitung von „Fehlinformationen über Glücksspiele“. Er befürchtet die Erleichterung der „Flucht vor psychischen, familiären und sozialen Problemen“ Zudem weist er auf Gruppendynamiken hin und warnt vor einer Akzeptanz von Glücksspielangeboten. Eine genaue Betrachtung von Coin Master bekräftigt die Befürchtung, dass Jugendliche ein falsches Bild von Glücksspiel bekommen könnten. Bei der Betätigung des einarmigen Banditen gibt es kaum Versuche, die nicht zumindest zu einem geringen Gewinn (i.d.R. mehrere Tausend Coins) führen. Auch hat das Spiel eine sehr hohe Ereignisfrequenz. Es ermöglicht, den „Drehen“-Button etwas länger gedrückt zu halten, sodass er „einrastet“, um mehrere Versuche hintereinander auszuspielen, ohne dass der Spieler aktiv werden müsste. Um den „Gewinn“ pro Drehung zu multiplizieren, können mehrere Versuche zu einem Versuch zusammengefasst und somit gleichzeitig verbraucht werden. Auch Gruppendynamiken werden gefördert. Coin Master ruft den Spieler immer wieder dazu auf, Belohnungen für die Verbindung des Accounts mit Facebook oder für das Einladen von Freunden einzusammeln. Mit Blick auf die Gefahren des simulierten Glücksspiels wird der Gesetzgeber – u.a. auch von Meyer - zu einer Regulierung aufgerufen. Dies erscheint nicht verfehlt, sind doch mindestens drei der fünf Regulierungsziele des Glücksspielstaatsvertrages unmittelbar betroffen: § 1 Nr. 1 GlüStV nennt als Ziel, die Glücksspielsucht zu verhindern, § 1 Nr. 2 möchte den natürlichen Spieltrieb der Bevölkerung in geordnete und überwachte Bahnen lenken und § 1 Nr. 3 den Jugend- und Spielerschutz gewährleisten.

 

V. Regulierungsmöglichkeiten

 

Wie könnte eine solche Regulierung aussehen? In der Auswertung einer 2015 durchgeführten Studie zum Konsumverhalten Minderjähriger bezüglich simulierten Glücksspiels, (Hayer/Rosenkranz/Meyer/Brosowski, Kindheit und Entwicklung, 2019, 123-133) werden drei Instrumente vorgeschlagen: Erstens eine „Informationsverpflichtung“ (insb. für „erwachsene Multiplikatoren und Multiplikatorinnen“, z.B. Eltern, Lehrkräfte) „im Hinblick auf die gesteuerten Spielabläufe sowie Gewinnwahrscheinlichkeiten“, zweitens ein „Verbot von Werbung für (simulierte) Glücksspiele, die sich direkt an Minderjährige richtet“, und drittens eine „Limitierung von Mikrotransaktionen sowie vollumfängliche Transparenz über alle Echtgeld-Einsätze“. Eine andere Möglichkeit wäre, dem gefährdeten Publikum Spiele mit In-App-Käufen gar nicht zugänglich zu machen (so z.B. https://www.merkur.de/welt/coin-master-einstiegsdroge-spielsucht-13258559.html).

 

VI. Bisherige Regulierungsschritte

 

Kleine Schritte in diese Richtung wurden bereits gemacht. Die Landesmedienanstalt NRW und die Kommission für Jugendmedienschutz haben dafür gesorgt, dass die App in Deutschland nur noch in veränderter Form verbreitet werden darf. Es gibt nun eine doppelte Altersbestätigung, die Sperrung Minderjähriger bei der Nutzung und einen ausdrücklichen Hinweis zur Deaktivierung von In-App-Käufen. Außerdem wurde die Werbung mit Influencern in Deutschland eingestellt (Pressemitteilung der Landesmedienanstalt NRW vom 06.04.2020, https://www.medienanstalt-nrw.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilungen-2020/2020/april/coin-master-an-deutschen-jugendschutz-angepasst.html). Problematisch erscheint jedoch bei Regulierungsmaßnahmen, die nur Minderjährige treffen sollen, dass vor allem die Eltern für deren Durchsetzung sorgen müssen. Auch die USK hat ihre Leitkriterien erweitert (abrufbar unter https://usk.de/?smd_process_download=1&download_id=1018522). Danach sind bei der Alterseinstufung insb. Spielinhalte zu berücksichtigen, „die zu einer Gewöhnung an bzw. Verharmlosung von Glücksspiel führen können, indem sie eine positive Einstellung gegenüber Glücksspielen fördern, zur Desensibilisierung gegenüber Spielverlusten beitragen oder unrealistische Gewinnerwartungen hervorrufen.“ Ausgenommen von der Alterseinstufung sind allerdings „nicht-inhaltsbezogene Komponenten, wie z.B. Werbung, Kaufappelle oder In-Game Käufe“. Letztlich soll auch nach dem (viel kritisierten) Entwurf für eine Novellierung des JuSchG, den das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vorgelegt hat, simuliertes Glücksspiel in Apps bei der Altersbewertung berücksichtigt werden (vgl. dazu Rauda, Staatlicher Jugendschutz für Apps und parallele Regeln der App Stores, MMR-Beil. 2020, 13, 16). Der neue GlüStV-E 2021 löst die Probleme des simulierten Glücksspiels jedenfalls nicht. Vielmehr bleibt das Vertragswerk bei seiner starren Legaldefinition des Glücksspiels. Moderne Glücksspiel- oder glücksspielähnliche Konstellationen (Loootboxen/Wetten auf E-Sport/simuliertes Glücksspiel) bleiben hingegen gänzlich unberücksichtigt.

 

VII. Fazit

 

Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Regulierung bisher eher verhalten ausfällt. Wirklich effektive Maßnahmen sind ausgeblieben. Dabei sind die Bedenken aus den Reihen der Suchforschung nicht von der Hand zu weisen. Coin Master hat zumindest große Ähnlichkeiten zu einem Glücksspiel und birgt auch vergleichbare Gefahren. Der Gesetzgeber sollte hier also reagieren und das sog. Simulierte Glücksspiel einer Regulierung zuführen.