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Glücksspielrechtliche Einordnung von Lootboxen

Leonie Schulz, Tobias Lüder

Donnerstag, 30.07.2020

In verschiedenen Medien wird zurzeit häufig über die Gefährlichkeit sogenannter Lootboxen diskutiert (z.B. hier: https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/computerspiele-experten-warnen-vor-suchtgefahr-fuer-kinder-16073005.html). Lootboxen? Diesen Begriff sucht man in deutschen Gesetzen vergeblich. Insbesondere der aktuell geltende Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV 2020, welcher im Wesentlichen dem GlüStV 2012 entspricht) – aber auch der Entwurf des Staatsvertrages zur Neuregulierung des Glücksspielwesens (GlüStV 2021) – erwähnen diese „virtuellen Beutekisten“ zumindest nicht ausdrücklich. Da ihr Inhalt jedoch vom Zufall abhängt, wird die Frage aufgeworfen, ob es sich hierbei um Glücksspiel handelt. Verschiedene Staaten (darunter Belgien und die Niederlande) haben sich schon entschieden, Lootboxen als Glücksspiel zu qualifizieren. Doch wie sieht die Rechtslage in Deutschland aus: Handelt es sich bei Lootboxen um Glücksspiel im Sinne des Glücksspielstaatsvertrages?

 

Immer mehr Spielehersteller nutzen das System der Lootboxen, um sowohl die Entwicklungs- als auch die laufenden Spielkosten zu finanzieren. Somit wird eine weitere Einnahmequelle neben dem Verkauf des Spiels erzielt. Bei den Lootboxen handelt es sich um „virtuelle Kisten“ innerhalb eines Spiels, die von den Nutzern erspielt sowie mittels virtueller oder realer Währung gekauft werden können. Per Zufall erhält der Spieler dann virtuelle Gegenstände, welche im Spiel genutzt werden können, wie beispielsweise Kleidung, Waffen oder digitale Sammelbilder. Dabei kann zwischen rein kosmetischen Objekten und Items, die einen tatsächlichen Spielvorteil bringen, unterschieden werden. Nicht alle virtuellen Gegenstände sind dabei gleich oft in den Boxen enthalten. Wertvolle und damit vom Spieler erhoffte Objekte sind sehr viel seltener als geringwertige Items. Aktuelle Beispiele für Spiele, die Lootboxen verwenden, sind Overwatch, Counter-Strike: Global Offensive und FIFA mit seinem Modus „Ultimate Team“.

 

Der Glücksspielbegriff ist in Deutschland mehrfach im Gesetz erwähnt und von der Rechtsprechung konkretisiert worden. In § 3 Abs. 1 Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV) findet sich eine Legaldefinition, nach welcher Glücksspiel vorliegt, „wenn im Rahmen eines Spiels für den Erwerb einer Gewinnchance ein Entgelt verlangt wird und die Entscheidung über den Gewinn ganz oder überwiegend vom Zufall abhängt. Die Entscheidung über den Gewinn hängt in jedem Fall vom Zufall ab, wenn dafür der ungewisse Eintritt oder Ausgang zukünftiger Ereignisse maßgeblich ist.“ Entscheidend sind somit die Merkmale der Zufallsabhängigkeit und der Entgeltlichkeit sowie die Voraussetzung, dass eine Gewinnchance erworben werden muss.

 

I. Zufallsabhängigkeit

 

Bei den Lootboxen entscheidet ein Zufallsalgorithmus über den Inhalt der Boxen. Auf diesen Algorithmus haben die Spieler keinerlei Einfluss. Unproblematisch ist die Entscheidung über den Gewinn daher zufallsabhängig

 

II. Entgeltlichkeit

 

Es gilt jedoch zu klären, ob tatsächlich ein Entgelt verlangt wird. Da der Begriff des Entgelts im GlüStV 2012 nicht näher konkretisiert wird, ist mit einem weiten Verständnis davon auszugehen, dass unter den Begriff grundsätzlich jede vertraglich vereinbarte Gegenleistung fällt, soweit sie einen wirtschaftlichen Wert aufweist. Bei dem unmittelbaren Erwerb von Lootboxen durch Echtgeld (Kreditkartenzahlung oder PayPal) kann man den Begriff des Entgelts ohne Weiteres bejahen. Fraglich ist allerdings, ob es sich auch bei Verwendung einer Prepaid-Karte und von Spielwährung um den Einsatz eines Vermögenswertes handelt. Prepaid-Karten haben aufgrund der Weiterveräußerungsmöglichkeit klar erkennbar einen wirtschaftlichen Wert, der sich durch den Kauf einer Lootbox verringert, sodass hier der Einsatz eines Vermögenswertes vorliegt. Etwas komplizierter ist es allerdings bei der sogenannten Spielwährung. Hierbei kann es sich um eine Währung handeln, die nur käuflich erworben wird, aber auch um eine solche, die lediglich erspielt werden kann. Beide Modelle sind selbstverständlich auch kombinierbar, sodass die Möglichkeit besteht, die Währung entweder zu erspielen oder käuflich zu erwerben. Welches Modell vorliegt, ist für die Qualifikation als Entgelt allerdings nicht entscheidend. Vielmehr ist ausschlaggebend, ob der Spielwährung ein wirtschaftlicher Wert zukommt. Nur wenn der Verkauf tatsächlich ausgeschlossen ist, liegt kein Entgelt vor. Zu bedenken ist allerdings, dass zum Teil zwar der Verkauf der Spielwährung rein tatsächlich unmöglich ist. Jedoch ist es möglich, den kompletten Account zu verkaufen. Wenn sich die Spielwährung auch hier wertsteigernd auswirkt, dürfte auch in einem solchen Fall ein wirtschaftlicher Wert der Spielwährung vorliegen, sodass ein Entgelt gegeben wäre.

 

Zu beachten ist jedoch, dass der BGH – im Rahmen von § 284 StGB – für das Vorliegen eines Glücksspiels fordert, dass ein nicht ganz unerheblicher Vermögenswert als Einsatz geleistet wird (so z.B. BGH, 29. 09. 1986 – 4 StR 148/86). Ein solches Erfordernis ergibt sich nicht unmittelbar aus dem GlüStV. Das BVerwG hat jedoch klargestellt, dass der ordnungsrechtliche Begriff des Glücksspiels nicht weiter gefasst werden darf als der des StGB, sodass das Entgelt ebenfalls erheblich sein muss (BVerwG, 16.10.2013 – 8 C 21/12). Für ein Vorliegen von Glücksspiel ist somit die Erheblichkeit des Einsatzes erforderlich. Der BGH bejaht diese ab einem Einsatz von 10,00 EUR pro Stunde (BGH, 8.8.2017 – 1 StR 519/16). Mit einem durchschnittlichen Preis von 2,00 EUR liegt der Erwerb einer Lootbox zwar unter der Erheblichkeitsschwelle des BGH, jedoch kann der Spieler mehrere Lootboxen gleichzeitig erwerben. Muss die Möglichkeit der Mehrfachteilnahme überhaupt beachtet werden, oder ist nur der Preis für die einzelne Box relevant? Einigkeit besteht darüber, dass nicht auf den Einzelpreis, sondern auf die mögliche Spielsequenz abzustellen ist, wenn der Anbieter es gerade darauf anlegt, dass eine Mehrfachteilnahme erfolgt. Das Verkaufskonzept ist überwiegend auf die Veräußerung mehrerer Lootboxen gleichzeitig angelegt. Dies zeigt sich z.B. an Rabatten oder an Sonderaktionen, bei denen eine große Anzahl an Lootboxen gekauft werden muss, um ein besonderes Objekt zu erhalten. Somit werden die Spieler gerade dazu angeregt, große Summen an Geld in kurzer Zeit einzusetzen.

 

III. Erworbene Gewinnchance

 

Als drittes und letztes Kriterium verlangt der Glücksspielbegriff eine erworbene Gewinnchance. Damit der Erwerb von Lootboxen als Glücksspiel qualifiziert werden kann, muss also durch das Entgelt die Aussicht auf einen Gewinn verbunden mit einem Verlustrisiko erworben werden. Aus den Lootboxen erhält der Spieler kein Geld, sondern nur virtuelle Gegenstände. Diesen könnte allerdings Geldwert zukommen. Es stellt sich also die Frage, ob den Spielern die Möglichkeit offensteht, die virtuellen Gegenstände zu veräußern (vgl. auch schon bei der Spielwährung). Zwar bieten die Spieleanbieter in den meisten Fällen keine offizielle Seite zum Verkauf an, jedoch finden sich zahlreiche Seiten von Drittanbietern, über die virtuelle Gegenstände oder Accounts für bis zu vierstellige Beträge verkauft werden. Damit ist ein nicht unerheblicher Geldwert dieser Objekte zu bejahen. Rein praktisch werden die erhaltenen Gegenstände i.d.R. über einen für eine Partei – auf den ersten Blick – sinnlosen Tausch transferiert. Es wird also der wertvolle Gegenstand aus der Lootbox gegen einen wertlosen Gegenstand, den der Käufer schon vorher hatte, getauscht. Die Spieleanbieter berufen sich in diesen Fällen oft darauf, dass ein entgeltlicher Verkauf in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen ausgeschlossen sei und sie für den trotzdem stattfindenden Weiterverkauf deshalb nicht verantwortlich seien. Den Herstellern ist dieser Markt durchaus bekannt und es ist zu vermuten, dass dagegen unter anderem nicht vorgegangen wird, weil ein Einbruch des Schwarzmarktes auch dem Lootboxen-Geschäft schaden könnte.

Zu beachten ist allerdings, dass der Spieler nie den gesamten Einsatz verliert, sondern immer eine wenn auch nur geringwertige Gegenleistung in Form virtueller Gegenstände erlangt. So trägt der Spieler nie das Risiko eines Totalverlustes seines Einsatzes. Maßgeblich ist jedoch nicht das „Ob“ einer Gegenleistung, sondern deren Wert. Erhält der Spieler immer einen dem Einsatz entsprechenden Wert, würde die Gewinnchance nicht vom Zufall abhängen und somit auch nicht um Glücksspiel handeln. Mit diesem Argument wird bei „Panini-Stickern“ oder „Überraschungseiern“ Glücksspiel abgelehnt, da man hier davon ausgeht, dass das Erlangte dem Wert des Entgelts entspricht. Der Wert der Gegenleistung in Lootboxen ist in den meisten Fällen sehr gering und entspricht daher nur teilweise dem des Entgelts. Würde dies den Einsatz in Frage stellen, könnte die Charakterisierung als Glücksspiel von Anbietern einfach umgangen werden. Daher kann eine nur geringwertige Gegenleistung das Vorliegen von Glücksspiel nicht ausschließen.

 

IV. Fazit

 

Die häufigsten Formen von Lootboxen lassen sich somit regelmäßig als Glücksspiel einordnen (So auch Krainbring/Röll, ZFWG 2018, 235; a.A. Schippel, WRP 2018, 409 - jeweils mit weiteren Nachweisen). Da diese Lootboxen ausschließlich online angeboten werden, handelt es sich um nach § 4 Abs. 4 GlüStV verbotenes Online-Glücksspiel. Bisher ist allerdings nicht bekannt, dass die deutschen Behörden gegen die Anbieter dieser Lootboxen vorgegangen sind. Gleichzeitig werden immer mehr Studien veröffentlicht, die ein erhöhtes Suchtpotential der virtuellen Boxen betonen (z.B. hier: https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0206767). Da die Lootboxen sich insbesondere bei Jugendlichen großer Beliebtheit erfreuen, erscheint der Umstand des bestehenden Vollzugsdefizits in diesem Bereich unter Gesichtspunkten des Jugendschutzes – immerhin ein festgeschriebenes Ziel des Staatsvertrages in § 1 S. 1 Nr. 3 GlüStV – als äußerst problematisch.