Forschungswerkstatt zu den Rechtsfragen der Gemeinsamen Glücksspielbehörde der Länder | Tagungsbericht
Robin Anstötz, Tobias Lüder
Dienstag, 15.12.2020
Am 4. Dezember 2020 veranstaltete das Institut für Glücksspiel und Gesellschaft eine Forschungswerkstatt zu den Rechtsfragen der Gemeinsamen Glücksspielbehörde der Länder. Die Veranstaltung wurde nicht als konventionelle Vortragsveranstaltung abgehalten, sondern als Podiumsdiskussion. Die Referenten hatten hierbei durch kurze Eingangsstatements die Möglichkeit, ihre Thesen zur Gemeinsamen Glücksspielbehörde vorzustellen. Anschließend wurden diese Thesen unter den Referenten, aber auch unter Einbeziehung des Publikums lebhaft diskutiert. Im Folgenden sollen die Kernaussagen der Referenten Prof. Dr. Martin Nettesheim, Prof. Dr. Gregor Kirchhof und Prof. Dr. Sebastian Unger kurz dargestellt und ein Überblick über die verschiedenen Diskussionspunkte gegeben werden.
Zunächst sprach Professor Kirchhof in seinem Eingangsstatement ein Lob an die Politik aus, dass eine Vereinigung der Länder unter einen neuen Staatsvertrag gelungen sei. Der grundgesetzliche Föderalismus lebe von 16 unterschiedlichen Ländern mit abweichenden Landesgesetzen. Der dadurch bedingte „Flickenteppich“ sehe sich jedoch Kritik und Schwierigkeiten ausgesetzt. Vor diesem Hintergrund verlange das GG trotz seines föderalen Ausgangspunkts eine gewisse Kooperation zwischen den Ländern. Mit einer solchen Kooperation seien jedoch stets rechtsstaatliche und demokratische Probleme verbunden. Nach dem Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsgerichts bedeute Demokratie die Selbstbestimmung des Volkes durch Wahlen. Um staatliches behördliches Handeln ausreichend zu legitimieren, komme es im Wesentlichen auf Fragen der Rechts- und Fachaufsicht an. Im Rahmen der föderalen Kooperation müsse das Legitimationsniveau ein hinreichendes Maß erreichen; es sei aber unausweichlich, dass es bei einer Zusammenarbeit der Länder zu Abstrichen bei der demokratischen Legitimation komme. Mit Blick auf die Forderung des GG nach Kooperation seien diese Abstriche in begrenztem Maße zulässig, solange die Kooperation ihren Ausnahmecharakter behalte. Folgende „Dominoeffekte“ seien bei der Diskussion über die Gemeinsame Glücksspielbehörde zu beachten: Würde die Gemeinsame Behörde für verfassungswidrig erklärt werden, wirke sich dies auch auf vergleichbare Institutionen aus. Die Hürden für die Kooperation sollten daher nicht zu hoch gesetzt werden, da andernfalls die Tatsache, dass das GG Kooperation vorsehe, untergraben werde. Mit Blick auf das Maß an notwendiger Aufsicht seien drei Kategorien zu bilden:
- Das Rundfunkrecht mit niedrigeren demokratischen Anforderungen an die Aufsicht wegen der gebotenen Staatsferne.
- Das Schulrecht mit einer punktuellen Aufsicht.
- Das Wirtschaftsrecht, das aus demokratischen, rechtsstaatlichen und grundrechtlichen Gründen eine starke Aufsicht erfordere.
Die Gemeinsame Glücksspielbehörde ordne sich in die dritte Kategorie ein, werde den Anforderungen an eine starke Aufsicht jedoch durchaus gerecht. Über den Verwaltungsrat könnten die Länder auf die Rechts- und Fachaufsicht Einfluss nehmen. Dies sei durch § 27l Abs. 1und Abs. 3 GlüStV-E 2021 gewährleistet.
Sodann erhielt Professor Nettesheim die Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Entscheidung der Länder für eine Gemeinsame Glücksspielbehörde werde von politischen Gründen und Effizienzerwägungen getragen. Dies führe zu einer scheinbar eleganten Lösung, die jedoch rechtspolitisch und verfassungsrechtlich nicht unbedenklich sei. Professor Nettesheim führte die potenziellen Vorteile einer föderalen Regelungsstruktur auf. Der regulatorische Wettbewerb zwischen den Ländern habe eine heilende Wirkung und führe zur Spezialisierung in bestimmten Märkten. Diese Vorteile könnten sich aber nur bei einer Pflicht der Länder zur gegenseitigen Anerkennung auswirken. Das von den Ländern gewählte Modell versuche hingegen etwas Einheitliches herbeizuführen; dies geschehe auf materiell-rechtlicher und institutioneller Ebene durch eine Zentralisierung unterhalb des Bundes. Anders als in üblichen Fällen der föderalen Zusammenarbeit, in denen es z.B. um Koordinationsfragen gehe, sei vorliegend Verwaltung mit unmittelbarer Grundrechtsrelevanz betroffen. Professor Nettesheim stellte aus den genannten Gründen drei rechtliche Probleme der gemeinsamen Glücksspielbehörde heraus:
- Die Behörde werde durch einen Staatsvertrag errichtet, gelte jedoch als Einrichtung des Landes Sachsen-Anhalt; dies lasse aufhorchen: Ob die Einrichtung kooperativ von allen Ländern getragen oder nur dem Land Sachsen-Anhalt zugeordnet werde und Gewalt des Landes Sachsen-Anhalt ausübe, bleibe eine zu beantwortende Frage.
- Es stelle sich zudem die Frage, inwieweit es nach den föderalen Strukturen des GG zulässig ist, dass wirtschaftsverwaltungsrechtliche und bzw. oder ordnungsrechtliche Befugnisse von den Ländern auf die Behörde eines Landes übertragen werden. Klar sei, dass die Gemeinsame Glücksspielbehörde keine echte Kooperation darstelle, bei der alle Länder etwas gemeinsam auf ihre Schultern legen, sondern es würden Aufgaben abgegeben und Kompetenzen übertragen. Eine konkrete Aussage zur Zulässigkeit dieses Vorhabens enthalte das GG nicht. Jedenfalls sollten diesbezügliche Grenzen mit Blick auf den Kooperationsgedanken, die Eigenstaatlichkeit der Länder und die Kompetenzordnung des GG mit Bedacht gezogen werden.
- Bei genauerer Betrachtung des Verwaltungsrats der Gemeinsamen Behörde ergäben sich Probleme der demokratischen Rückbindung. Sollte die Behörde nur von Sachsen-Anhalt getragen werden, so entstünde ein solches Rückanbindungsproblem, da nur eine Rechts-, aber keine Fachaufsicht vorgesehen sei.
Auch Professor Unger kritisierte die Gemeinsame Behörde unter demokratischen Gesichtspunkten. Der Verfassungsgrundsatz der repräsentativen Demokratie enthalte das Gebot eines Zurechnungs-, Verantwortungs- und Legitimationszusammenhangs. Das Volk solle bei Wahlen auf falsche Entscheidungen der Exekutive reagieren können, indem es jemandem die Verantwortung entziehe und diese auf andere Personen übertrage. Von einem solchen stabilen Verantwortungszusammenhang könne bei der Gemeinsamen Behörde nicht die Rede sein. Dies veranschauliche ein Beispiel, in welchem der Vorstand der Behörde aus rechtlichen und Ermessensgesichtspunkten von einer Untersagungsverfügung absehe, die Regierung eines Bundeslandes diese Entscheidung jedoch für falsch erachte. Die Regierung des Bundeslandes könne zwar um fachaufsichtliche Maßnahmen ersuchen, mehr aber auch nicht. Der Einflussnahme über den Verwaltungsrat stehe das Mehrheitserfordernis im Wege. Die vom Verwaltungsrat getroffene Entscheidung könne der Regierung des widersprechenden Bundeslandes nicht zugerechnet werden, wenn man von der grundsätzlichen Entscheidung absehe, am GlüStV-E 2021 teilzunehmen. Mit dieser Zurechnungsproblematik entstehe eine Situation, die durch das Demokratieprinzip verhindert werden solle. Die demokratische Legitimation des GlüStV-E 2021 ändere nichts an diesem Problem, da es dem Demokratieprinzip nicht nur um die Legitimation der Konstruktion, sondern auch um die Legitimation der laufenden Verwaltungspraxis gehe. Auch der Umstand, dass der GlüStV-E 2021 mehr oder weniger klare Voraussetzungen normiere, könne das demokratische Defizit nicht beseitigen. Denn die Bedeutung materiell-rechtlicher Regelungen werde in dieser Hinsicht überbewertet, die Vorschriften enthielten Ermessensspielräume und ließen zudem erhebliche Konkretisierungsfreiräume. Das Demokratieprinzip unterwerfe auch rechtlich angeleitete Entscheidungen einem Legitimationserfordernis, weil auch dort viele Freiräume bestünden.
Im Anschluss an die Beiträge der Referenten stellte Professor Krüper die Frage, ob es nicht generell lohnend wäre, über die Dispositionsbefugnis der Länder in Bezug auf ihre Kompetenzen zu diskutieren. Die Referenten bezogen diesbezüglich unterschiedlich Stellung. Professor Kirchhof betonte, dass die Hürden für einen kooperativen Föderalismus nicht zu hoch zu setzen seien. Professor Nettesheim wies auf einen grundsätzlichen Unterschied zwischen eigenständiger Kompetenzwahrnehmung einerseits und Kooperation andererseits hin. Man müsse sich die Frage stellen, welche Gründe ein Ausbrechen aus der eigenen Kompetenzwahrnehmung legitimieren können. Der Wettbewerb spiele jedoch bei der Begrenzung der Kooperation eine wichtige Rolle; nicht nur Spielerschutz, sondern auch die positive Marktordnung seien zu beachten. Professor Unger wies auf Abgrenzungsschwierigkeiten im Kompetenzrecht hin; es sollte hinterfragt werden, ob der Bund nicht mehr Kompetenzen habe als bis heute angenommen. Maßstab der Zulässigkeit der Kooperation sei im Wesentlichen das Legitimationsniveau. Das notwendige Maß der Legitimation sei von vielerlei Faktoren abhängig, v.a. von der wahrgenommenen Sachkompetenz und den Maßnahmen der Kooperationseinrichtung.
Dem Gedanken des föderalen Wettbewerbs, wie Professor Nettesheim ihn betont, widersprach Professor Kirchhof. Es sei Glücksspieltourismus zu befürchten. Zwar sei für die Kooperation ein Grund erforderlich, aber zu hohe Anforderungen an die Legitimation wirkten sich kooperationsfeindlich aus. Dies sei zu verhindern.
Zu der Frage, wann eine „dritte Ebene“ erreicht sei, äußerten die Referenten sich unterschiedlich. Professor Unger betonte, dass man dies vor allem unter materiell-rechtlichen Gesichtspunkten untersuchen müsse. Professor Nettesheim sprach insoweit von einem „Schweben über den Ländern“ und von einem „Supra-Landesgebilde“. Professor Kirchhof sah eine „dritte Ebene“ erreicht, wenn eine Verselbständigung zwischen den beiden Ebenen entstehe, wie dies z.B. im Rundfunkrecht sei. Dort bestehe der Legitimationsgrund aber in der verfassungsrechtlich gebotenen Staatsferne.
Zuletzt rückte die Frage, ob nicht auch der Bund kompetenzrechtlich in der Lage wäre, das Glücksspielrecht zu regulieren, in den Vordergrund. Intensiv wurde hierbei über die Zuordnung des Glücksspielrechts zum Ordnungsrecht, welches nach Art. 70 Abs. GG in die Kompetenz der Länder fällt, oder aber zum Wirtschaftsrecht, das nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 in die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz fällt, debattiert. Während Professor Kirchhof von einem ordnungsrechtlichen Schwerpunkt des Glücksspielrechts ausging, sah Professor Nettesheim in drei von vier Zielen des GlüStV-E 2021 einen wirtschaftsrechtlichen Schwerpunkt gegeben. Professor Unger bekräftigte seine Ansicht, dass eine bundesgesetzliche Regelung möglich und vielleicht sogar geboten sei.
Abschließend wurden die rund 120 Teilnehmer von Professor Krüper verabschiedet. Die Forschungswerkstatt für Glücksspiel und Gesellschaft soll im kommenden Jahr fortgeführt werden. Am 4. Februar 2021 werden Professor Dr. Jo Reichertz und Dr. Gerd Möller vom Kulturwissenschaftlichen Institut Essen über die sozialwissenschaftlichen Studien zum Automatenglücksspiel berichten.