Gleichrangig heißt gleichrangig – Glücksspielwerbung zwischen den Zielen der Spielsuchtprävention und Kanalisierung
Dr. Sebastian Walisko LL.M.
Donnerstag, 23.09.2021
Die Regulierung glücksspielbezogener Werbemaßnahmen zählt zu den zentralen und zugleich komplexesten Instrumenten der deutschen Glücksspielregulierung, das die vollziehenden Behörden in der Anwendungspraxis bisweilen vor enorme Herausforderungen stellt und Glücksspielanbietern im Hinblick auf eine rechtskonforme Gestaltung ihrer Werbung nur unzureichend Orientierung bietet. Seinen Grund findet dieser gerade in rechtsstaatlicher Perspektive kritisch zu bewertende Befund in der spezifischen Ausgestaltung des glücksspielrechtlichen Werberegulierungsregimes, die die Zulässigkeit von Glücksspielwerbung unter weitgehendem Verzicht auf staatsvertragliche und landesrechtliche Konkretisierungen davon abhängig macht, ob Art und Umfang einer Werbemaßnahme mit den staatsvertraglichen Zielen vereinbar sind. Mit dieser regulatorischen Grundentscheidung des Staatsvertraggebers geht eine komplexe Abwägungsentscheidung zwischen den Zielen der Spielsuchtbekämpfung einerseits und der Kanalisierung zu legalen Glücksspielangeboten andererseits einher, die im Laufe der Jahre mangels anleitender gesetzlicher Direktiven eine diffuse Beurteilungspraxis hervorgebracht hat. Konkret stellt sich bei der Anwendung der werberegulatorischen Vorgaben des Glücksspielrechts die Frage, wann eine Werbemaßnahme hinreichend attraktiv gestaltet ist, um Spielinteressierte zum legalen Glücksspielangebot zu lenken, zugleich jedoch keinen der Suchtprävention zuwiderlaufenden Anreiz zur Teilnahme an Glücksspielen setzt. Weiter verkompliziert wird dieser zielorientierte Ansatz von dem auch der glücksspielrechtlichen Werberegulierung nachgesagten Erfordernis einer Anpassung des Beurteilungsmaßstabes an die Gefährlichkeit des beworbenen Glücksspiels, sodass für Glücksspiele mit einem niedrigen Suchtgefährdungspotential wie Lotterien attraktiver geworben werden können soll als für solche mit einem vergleichsweise hohen Suchtgefährdungspotential. Dass mit diesem Differenzierungspostulat die Gleichrangigkeit der staatsvertraglichen Ziele allerdings nicht aufgehoben und besonders attraktiv gestalte Glücksspielwerbung staatlicher Lotterieanbieter durch übermäßige Betonung des Kanalisierungsziels gerechtfertigt werden kann, hat jüngst das Landgericht München I in einem Urteil vom 13.08.2021, Az. 33 O 16380/18, klargestellt.
Dem Rechtsstreit lagen gleich mehrere Werbemaßnahmen von und für LOTTO Bayern zugrunde, deren lauterkeitsrechtliche Zulässigkeit ein Anbieter im Ausland lizensierter, nach deutschem Glücksspielrecht hingegen illegaler Zweitlotterien mit Erfolg beanstandet hat. Allein der Umstand, dass ein nach deutschem Recht illegaler Glücksspielanbieter im hiesigen Fall im Wege des private enforcement glücksspielrechtliche Verhaltensnormen durchsetzt und einen staatlichen Lotterieanbieter so zu gesetzeskonformen Marktverhalten zwingt, lässt aufhorchen, waren es in den vergangenen Jahren doch zumeist eben jene Anbieter sogenannter Schwarzlotterien, die sich gerichtlichen, nicht selten von staatlichen Lotterieanbietern initiierten Angriffen auf ihr Glücksspielangebot und den hiermit im Zusammenhang stehenden Werbekampagnen ausgesetzt sahen. Dass aber weder aus der Illegalität des klägerseitigen Glücksspielangebots noch aus dem vom beklagten Lotterieanbieter vorgetragenen Einwand, bei der Prozessführung des Klägers handele es sich um eine rechtsmissbräuchliche Retourkutsche für vormalig angestrengte Verfahren gegen Zweitlotterieanbieter, die Unzulässigkeit der Klage gefolgert werden kann, stellt das Landgericht München I im Ergebnis zugunsten eines rechtsstaatlich gebotenen Normvollzugs und eines effektiven Rechtsschutzes klar. Gegen eine rechtsmissbräuchliche Rechtsverfolgung spreche nach Ansicht des Gerichts schon der Umstand, dass mit dem streitgegenständlichen Begehren nicht nur die Interessen des Klägers als Mitbewerber des beklagten Lotterieanbieters, sondern auch und gerade Interessen Dritter sowie der Allgemeinheit berührt und somit nicht überwiegend sachfremde Ziele mit der Prozessführung verfolgt werden. Aus dem gebotenen Schutz der Interessen Dritter und der Allgemeinheit folge zugleich, dass sich ein inländischer Glücksspielanbieter einer gerichtlichen Kontrolle seines Marktverhaltens nicht durch den Verweis auf eine etwaige Rechtswidrigkeit des klägereigenen Glücksspielangebots entziehen kann.
Den Kern des Rechtsstreits bildete indes die Frage, ob dem klagenden Glücksspielanbieter gegen die seinerseits beanstandeten Werbemaßnahmen von LOTTO Bayern ein Unterlassungsanspruch gemäß §§ 8 Abs. 1, 3 Nr. 1 i.V.m. § 3a UWG wegen Verstoßes gegen die werberegulatorische Generalklausel des § 5 Abs. 1 GlüStV 2012 zusteht.
Bei den Werbemaßnahmen handelte es sich zum einen um ein auf dem YouTube-Kanal von LOTTO Bayern veröffentlichtes Video, in dem vor illegalen Zweitlotterien gewarnt und die Bedeutung von Lotto für das Gemeinwohl unter bildlicher Hervorhebung der in den bayerischen Staatshaushalt geflossenen Lottogelder und deren Verwendung zur (Jugend-)Sportförderung herausgestellt wurde. Zum anderen standen sowohl die Zulässigkeit eines auf der anbietereigenen Facebook-Seite im Wochenrhythmus zur Verfügung gestellten Glückszahlenhoroskops als auch zwei weiterer, mit dem Titel „Geiles Leben“ überschriebener und mit einer umgetexteten Version des gleichnamigen Liedes unterlegter Werbevideos in Rede. Während sich das hier nicht weiter zu thematisierende Glückszahlenhoroskop durch die Angabe von drei mit Sternzeichen verbundenen Glückszahlen auszeichnete, die nach einer Weiterleitung auf die Internetseite von LOTTO Bayern beim Ausfüllen eines Lottoscheins durch Anwählen des gewünschten Sternzeichens als „Horoskop-Tipp“ automatisch in den Lottoschein eingetragen wurden, zeigten die letztgenannten, ebenfalls auf YouTube veröffentlichten Werbevideos passend zu der verwendeten Musik verschiedene Statussymbole sowie Luxusgegenstände und stellten immer wieder einen Bezug zum Lotteriespiel her.
In den vorbezeichneten Videos erblickt das Gericht einen Verstoß gegen § 5 Abs. 1 GlüStV 2012, wonach Art und Umfang von Glücksspielwerbung an den Zielen von § 1 GlüStV 2012 auszurichten sind: Das vor Zweitlotterien warnende Werbevideo auf dem lotterieanbietereigenen YouTube-Kanal sei schon deshalb unzulässig, weil es durch die besondere Betonung der karitativen Verwendung der eingenommenen Lotteriegelder unter gleichzeitiger bildlicher Darstellung glücklich spielender Kinder geförderter Sportvereine über das Maß an Werbung hinausgehe, was zur Lenkung des Verbrauchers zu kontrollierten Glücksspielangeboten erforderlich sei, und dadurch zugleich einen unzulässigen Spielanreiz setze. Ähnliches gelte für die mit dem Titel „Geiles Leben“ überschriebenen Werbevideos, die einen nicht von § 5 Abs. 1 GlüStV 2012 gedeckten Spielanreiz verursachen würden, indem sie offensiv zur Teilnahme an der Eurojackpot-Lotterie auffordern und die in den Videos gezeigten Statussymbole wie Villen, Privatjets und Motorboote als mit der Teilnahme an eben jener Lotterie erreichbar darstellen. Darüber hinaus würden sich die Werbevideos in unzulässiger Weise an Minderjährige richten, da die Videos auf der von dieser vulnerablen Personengruppe intensiv genutzten Plattform YouTube zum Abruf zur Verfügung gestellt würden.
Mit deutlichen Worten weist das Gericht in diesem Zusammenhang den beklagtenseits vorgetragenen Einwand zurück, dass die besonders attraktiv gestalteten Werbemaßnahmen der extensiven Werbung illegaler Glücksspielanbieter geschuldet und im Sinne des staatsvertraglichen Kanalisierungsauftrags nicht nur gerechtfertigt, sondern gar geboten seien. Der Kanalisierungsauftrag erlaube entgegen der Ansicht des Beklagten nämlich gerade keine aggressive Werbung als Reaktion auf ein aggressives Werbeverhalten illegaler Glücksspielanbieter. Vielmehr sei schon die den staatlichen Glücksspielanbietern im Vergleich zu ihren illegalen Mitbewerbern eingeräumte Möglichkeit, für ihr Glücksspielangebot zu werben, Ausdruck des Kanalisierungsauftrags. Einer Dynamisierung bzw. Absenkung der Grenzen zulässiger Werbung aus Gründen der Kanalisierung erteilt das Gericht damit ein klare Absage: Eine auf Art und Ausmaß der Werbung gerichtete „Waffengleichheit“ zwischen staatlichen Lotterie- und illegalen Glücksspielanbietern würde – so das Gericht – eine dem gleichrangigen Ziel der Spielsuchtbekämpfung zuwiderlaufende und daher nicht hinnehmbare Aufwärtskaskade im Bereich der Glücksspielwerbung etablieren.
Mit diesem im Wesentlichen dem Begriff der Gleichrangigkeit in § 1 GlüStV 2012 geschuldeten Ergebnis setzt sich das Landgericht München I in Widerspruch zu Teilen der glücksspielrechtlichen Literatur und deren Lesart der Begründung zum GlüStV 2012, wonach gewisse Verschiebungen der Grenzen erlaubter Werbung, gerade auch als Reaktion auf ein aggressives Werbeverhalten illegaler Glücksspielanbieter, von § 5 Abs. 1 GlüStV 2012 gedeckt sein sollen. Tatsächlich dürfte aber weder mit dem Gesetzeswortlaut noch mit der Begründung zum GlüStV 2012 ein differenzierender Beurteilungsmaßstab für Glücksspielwerbung begründet werden können: Zum einen liefe dies nicht nur der in § 1 S. 1 GlüStV 2012 angeordneten Gleichrangigkeit der staatsvertraglichen Ziele zuwider, sondern würde auch die in § 1 S. 2 GlüStV 2012 getroffene Feststellung unterlaufen, dass der Staatsvertrag eine nach dem Suchtgefährdungspotential der unterschiedlichen Glücksspiele differenzierende Regulierung bereits vorhält, nicht jedoch erfordert. Zum anderen lässt sich der vom Staatsvertraggeber in der Begründung zum GlüStV 2012 angedachten Möglichkeit „verstärkter Werbung“ in Reaktion auf ein aggressives Werbeverhalten illegaler Glücksspielanbieter gerade nicht entnehmen, dass dies auch für die gestalterische Aufmachung glücksspielbezogener Werbemaßnahmen und nicht nur rein quantitativ gelten soll. Aber auch unabhängig davon, welcher Sichtweise man letztlich folgen mag, unterstreicht die Entscheidung mit der aufgeworfenen Frage nach dem zulässigen Maß von Glücksspielwerbung zwischen ausreichender Spielsuchtprävention einerseits und hinreichender Kanalisierung andererseits jedenfalls einmal mehr die in rechtsstaatlicher Perspektive unzureichende Ausgestaltung des glücksspielrechtlichen Werberegulierungsregimes. Dass die hierdurch insbesondere hervorgerufenen Vollzugsprobleme durch den jüngst in Kraft getretenen GlüStV 2021 und die damit einhergehenden Änderungen der werberegulatorischen Vorgaben behoben werden, muss nicht nur vor dem Hintergrund der größtenteils lediglich minimalinvasiven Eingriffe in das glücksspielrechtliche Werberegulierungsregime, sondern auch und gerade wegen der neu eingefügten unbestimmten Regelungen wie dem Verbot übermäßiger Werbung, § 5 Abs. 2 S. 2 GlüStV 2021, sowie der Möglichkeit, im Rahmen der Werbung besondere Merkmale des beworbenen Glücksspiels hervorzuheben, § 5 Abs. 2 S. 3 GlüStV 2021, ernsthaft bezweifelt werden.