Wir holen dein Geld zurück II – jetzt geht’s erst richtig los
Zur Entscheidung des LG Ulm vom 16.12.2019
Jan David Hendricks, Tobias Lüder
Montag, 13.01.2020
Haben Spieler für die bei verbotenem Online-Glücksspiel erlittenen Verluste Rückerstattungs- und Schadensersatzansprüche gegen ihre Zahlungsdienstleister? Bis Ende vergangenen Jahres schien sich eine deutliche Tendenz der Rechtsprechung in dieser Frage abzuzeichnen. Das LG München (v. 28.02.2018 – Az. 27 O 11716/17), das OLG München (v. 06.02.2019 – Az. 19 U 793/18), das LG Berlin (v. 16.04.2019 – Az. 37 O 367/18), das LG Düsseldorf (v. 10.10.2019 – Az. 8 O 398/18) und das LG Wuppertal (v. 30.10.2019 – Az. 3 O 384/18) lehnten Ansprüche ab. Nur einige Amtsgerichte (AG Leverkusen Urt. v. 19.02.2019 – Az. 26 C 346/18 u. AG München Urt. v. 21.02.2018 – Az. 158 C 19101/17) bejahten Ansprüche der Spieler. Der in diesem Blog veröffentlichte Beitrag „Wir holen dein Geld zurück – oder doch nicht?“ analysiert diese Urteile.
Eines der Hauptergebnisse der Gerichte, die die Ansprüche ablehnten, war dabei, dass § 4 Abs. 1 S. 2 GlüStV für sich betrachtet kein Verbots- und Schutzgesetz darstelle. Ein Verstoß gegen ein Verbots- bzw. Schutzgesetz ist Voraussetzung für eine Nichtigkeit der Zahlungsanweisung nach § 134 BGB und einen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB. § 4 Abs. 1 S. 2 GlüStV sei im systematischen Zusammenhang mit § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 GlüStV zu sehen. Um einen Verstoß gegen ein Verbots- bzw. Schutzgesetz annehmen zu können, müsse daher nicht nur eine Mitwirkung an einer Zahlung im Zusammenhang mit unerlaubtem Glücksspiel vorliegen. Vielmehr müsse die zuständige Behörde – wie bei einer Untersagung nach § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 GlüStV – den Zahlungsdienstleistern die unerlaubten Glücksspielangebote auch bekanntgegeben haben. Da eine solche behördliche Bekanntgabe zumindest in den bisher verhandelten Fällen noch nicht vorlag, konnte folgerichtig auch kein Verstoß gegen ein Verbots- bzw. Schutzgesetz angenommen werden, sodass ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB und § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 4 Abs. 1 S. 2 GlüStV jeweils ausschied.
Ein wenig überraschend kommt nunmehr das LG Ulm (v. 16.12.2019 – Az. 4 O 202/18) zu einem völlig anderen Ergebnis. Das Gericht spricht einem Kläger einen Schadensersatz in Höhe von ca. 10.000 Euro aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 4 Abs. 1 S. 2 GlüStV gegen den Online-Zahlungsdienstanbieter Paypal zu. Zur Begründung führt das Gericht an, dass es für einen Schutznormverstoß schon genüge, an der Zahlung für unerlaubtes Glücksspiel mitzuwirken. Die Norm des § 4 Abs. 1 S. 2 GlüStV sei für sich gesehen schon ein Verbotsgesetz, welches den Einzelnen schützen solle. Weder Wortlaut noch Systematik oder Telos sprächen für einen notwendigen Zusammenhang mit § 9 Abs. 1 Nr. 4 GlüStV. Die Systematik der Normen unterstreiche sogar, dass es keinen Zusammenhang zwischen § 4 Abs. 1 S. 2 GlüStV und § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 GlüStV gebe. Eine abweichende systematische Lesart führte letztlich dazu, dass § 4 Abs. 1 S. 2 GlüStV rein deklaratorisch und wirkungslos wäre.
Das LG Ulm beschäftigt sich darüber hinaus ausführlich mit den teleologischen Erwägungen des LG München. Dieses argumentierte, dass es dem Ziel der Suchtbekämpfung nicht dienlich wäre, wenn das finanzielle Risiko beim Glücksspiel aufgrund von Schadensersatz- und Rückerstattungsansprüchen entfiele. Dieses Argument betrachtet nach Ansicht des LG Ulm allein die Folgen eines Verstoßes der Zahlungsdienstleister gegen § 4 Abs. 1 S. 2 GlüStV. Das sei unzulässig, da Ausgangspunkt der Betrachtung ein rechtskonformes Verhalten der Zahlungsdienstleister sein müsse. Im Wege eines Vergleichs versucht das LG Ulm darüber hinaus, seine Argumentation durch BGH-Rechtsprechung (v. 15.12.2005 – Az. III ZR 65/05) zu untermauern. Der BGH entschied, dass ein Casino, das einen Spieler trotz Sperrvertrag spielen lässt, diesem das verlorene Geld zurückerstatten muss. Wenn es teleologisch darauf ankomme, Spielern keine Freibriefe zu erteilen, hätte der BGH hier – so das LG Ulm – spielerseitige Ansprüche ebenfalls verneinen müssen. Darüber hinaus sei auch der Rückgriff auf die Gesetzesmaterialien zum GlüStV nicht geeignet, das Ergebnis der anderen Gerichte zu stützen. Ein Bezug auf diese verbiete sich, da bei einem Staatsvertrag kein einheitliches Gesetzgebungsverfahren stattfinde. Letztlich zieht das LG Ulm so den Schluss, dass es sich bei § 4 Abs. 1 S. 2 GlüStV unabhängig von § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 GlüStV um ein Verbotsgesetz und infolge seiner drittschützenden Wirkung auch um ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB handele.
Ein Verstoß gegen dieses Schutzgesetz liegt nach Ansicht der Ulmer Richter ebenfalls vor. Da von § 4 Abs. 1 S. 2 GlüStV aufgrund seines Wortlautes alle Zahlungen im Zusammenhang mit unerlaubtem Glücksspiel erfasst seien, sei auch schon die Zahlung zur Aufladung eines Spielkontos ein Schutzgesetzverstoß, wenn die durch die Aufladung erworbenen virtuellen „Spielchips“ danach zum unerlaubten Glücksspiel eingesetzt werden. Das notwendige Verschulden ergebe sich daraus, dass es der Zahlungsdienstleister unterlassen habe, wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um zu klären, ob unerlaubtes Glücksspiel beabsichtigt sei, obwohl er erkannt habe, dass es sich überwiegend wahrscheinlich um eine Zahlung im Zusammenhang mit Glücksspiel handele. Eine so begründete Pflicht der Dienstleister, sich beim Spieler zu erkundigen und sonstige Maßnahmen zu ergreifen, führe auch nicht zu einer ungerechtfertigten Belastung, denn es stehe in der freien Entscheidung der Zahlungsdienstleister, überhaupt Akzeptanzverträge mit den Glücksspielanbietern zu schließen. Eine Anspruchsminderung nach § 254 BGB wegen Mitverschuldens des Spielers scheide im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH (v. 15.12.2005, Az. III ZR 65/05) aus, weil ansonsten der Schutzzweck des § 4 Abs. 1 S. 2 GlüStV entwertet würde.
Das Gericht kommt letztlich aufgrund dieser Argumentation zu einem Anspruch des Spielers aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 4 Abs. 1 S. 2 GlüStV. International-privatrechtlich sah sich das Gericht daran gehindert, andere als deliktsrechtliche Anspruchsgrundlagen zu prüfen. Es ist davon auszugehen, dass das LG Ulm die Ausführungen aber auch auf einen bereicherungsrechtlichen Anspruch – bei dem es maßgeblich auf eine Nichtigkeit der Zahlungsanweisung nach § 134 BGB wegen eines Verbotsgesetzverstoßes ankäme – bezogen hätte.
Festzuhalten bleibt, dass das LG Ulm mit seinem Urteil frischen Wind in die Diskussion um Rückzahlungs- und Schadensersatzansprüche von Spielern gegen ihre Zahlungsdienstleister gebracht hat. Ob die Ergebnisse und deren argumentative Herleitung einer kritischen Prüfung standhalten, ist allerdings mehr als ungewiss. So erscheint die Argumentation bei näherem Hinsehen keineswegs so schlüssig, wie es erste Reaktionen – besonders aus der Anwaltschaft – auf das Urteil vermuten lassen. Insbesondere an einigen für den Argumentationsfluss wesentlichen Stellen sind die Ausführungen sehr knapp. So erscheint die Begründung des Rückgriffsverbots auf die Gesetzesmaterialien als zu pauschal. Dürfen die Gesetzesmaterialien also niemals bei der Auslegung des Glücksspielstaatsvertrages herangezogen werden? Auch der angeführte Vergleich kann nicht wirklich überzeugen. Hier bietet sich doch viel mehr ein Vergleich mit der Konstellation an, bei der zwischen Spieler und Online-Glücksspielanbieter kein Zahlungsdienstleister steht. Bei allem Verständnis für Versuche, das aktuell herrschende Vollzugsdefizit im Glücksspielrecht zu beheben, darf nicht vergessen werden, dass – nach der Konzeption des GlüStV – die Glücksspielaufsichtsbehörden der Länder dafür zuständig sind, gegen illegales Glücksspiel vorzugehen, nicht die Zahlungsdienstleister. Diesen überträgt das LG Ulm allerdings letztlich Warn- und Kontrollpflichten in einem Umfang, dass man fast meinen könnte, zuständig für die Eindämmung von unerlaubtem Glücksspiel seien nunmehr in erster Linie die Zahlungsdienstleister.
Wie auch immer man das neue Urteil inhaltlich bewerten mag, so ist doch klar, dass die Rechtslage verworrener und die Rechtsansichten gegensätzlicher werden. Eine höchstrichterliche Klärung der Rechtsfrage wird damit immer notwendiger und wahrscheinlicher. In diesem Sinne: Fortsetzung folgt …