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Rs. C-440/23: Zu den Schlussanträgen des Generalanwalts

Florian Tautz

Montag, 09.09.2025

Der Ausgang des Verfahrens vor dem EuGH in der Rs. C-440/23 wird gespannt erwartet.

Ein Verbraucher mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland hat am Glücksspielangebot der Beklagten teilgenommen, die in Malta aber nicht in Deutschland lizensiert waren. Einen möglichen Rückzahlungsanspruch hat er an den Kläger abgetreten, der ihn nun als Zessionar vor der Ersten Kammer des maltesischen Zivilgerichts geltend macht. Die geschlossenen Verträge seien mit Blick auf das deutsche Glücksspielrecht nichtig. Die Beklagten wandten ein, dass das deutsche Glücksspielrecht nicht mit der Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV im Einklang und somit unionsrechtswidrig sei. Jedenfalls stelle die Geltendmachung eines solchen Anspruchs einen Missbrauch des Unionsrechts dar. Das maltesische Zivilgericht legte dem EuGH sieben Fragen vor, die sich mit der Unionsrechtskonformität des damaligen deutschen Glücksspielrechts und der Rückforderungsansprüche befassen. Auch der BGH hat auf die Vorlage reagiert und am 10. Januar 2024 ein Verfahren zur Rückerstattung von Verlusten bei Online-Poker bis zur Entscheidung des EuGHs ausgesetzt (Az. I ZR 53/23).

Seit dem 04.09.2025 liegen nun die Schlussanträge des Generalanwalts Nicholas Emiliou vor. Schlussanträge nehmen die Entscheidung des EuGHs freilich noch nicht vorweg, können aber als erste Indizien betrachtet werden, da sich der Gerichtshof oftmals an ihnen orientiert. Der Generalanwalt befasst sich jedoch auf Ersuchen des EuGHs mit den ersten sechs Fragen nicht inhaltlich, sondern bewertet lediglich ihre Zulässigkeit. Die Rechtssache sei „heikel“, weil sie die Unionsrechtskonformität des Rechts eines (aus Sicht des vorlegenden maltesischen Gerichts) fremden Mitgliedstaats betrifft. So hat die italienische Regierung in einer Erklärung angezweifelt, ob ein mitgliedstaatliches Gericht die Kompetenz habe, das Recht anderer Mitgliedstaaten auf seine Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht zu überprüfen, oder ob es auch nur die Möglichkeit habe, den EuGH in einer Vorlage darüber zu befragen. Eine klare (inhaltliche) Antwort gibt der Generalanwalt auf die Frage, ob dem Rückzahlungsanspruch das Verbot des Rechtsmissbrauchs entgegenstehe.

Zuständigkeit des maltesischen Gerichts

Das maltesische Gericht ist insbesondere nach Art. 4 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 (Brüssel-Ia-Verordnung) zuständig. Dem Generalanwalt zufolge dürfe das Gericht auch ausländisches (in dem Fall deutsches) Recht auf seine Unionsrechtskonformität überprüfen. Diese Kompetenz stehe im Einklang mit den allgemeinen Grundsätzen des materiellen Unionsrechts und des Internationalen Privatrechts der Union und führe nicht zu einem unzulässigen Eingriff in die Zuständigkeit der Gerichte des anderen Mitgliedstaates. Insbesondere betont Emiliou, dass die Feststellung der Unionsrechtswidrigkeit in einem solchen Verfahren lediglich Inter-partes- und keine Erga-omnes-Wirkung habe. Es komme nicht zur Aufhebung des fremdstaatlichen Rechts. Zur Gewährleistung von „Verteidigungsrechte[n] des betreffenden Mitgliedstaats“ hält der Generalanwalt aber die Anstrengung eines Vorabentscheidungsverfahrens durch das Gericht, das über die Unionsrechtskonformität fremden nationalen Rechts zu entscheiden hat, für angemessen. Zudem mahnt er Zurückhaltung an und stellt eine doppelte Hürde auf: Bereits die bloße gerichtliche Überprüfung des fremden nationalen Rechts setze eindeutige Anhaltspunkte für die Unvereinbarkeit mit Unionsrecht voraus. Damit es dann zur Nicht-Anwendung kommen könne, müsse „nach der Überprüfung ein offensichtlicher Konflikt“ mit dem Unionsrecht erkennbar sein. Die Konformität sei zu vermuten und im vorliegenden Fall könne das maltesische Gericht nicht unberücksichtigt lassen, dass deutsche Gerichte diese bereits bejaht hätten.

Obwohl er sich eigentlich nur mit der Zulässigkeit befasst, stellt der Generalanwalt fest, dass die betroffenen deutschen Regelungen eindeutig durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt seien. Fraglich bleibe nur, ob sie „in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck“ stehen.

Rückforderungsansprüche sind nicht rechtsmissbräuchlich

Emiliou zufolge sei die siebte Frage eindeutig zu beantworten: Die Geltendmachung der Rückforderungsansprüche sei nicht rechtsmissbräuchlich. Das Missbrauchsverbot sei schon gar nicht anwendbar, da sich die Herausgabeansprüche nach dem nationalen Recht und nicht nach dem Unionsrecht richten.

Bedeutung der Schlussanträge

Die Schlussanträge haben wohl größere Bedeutung für die Frage nach der Kompetenz von Gerichten, sich mit fremdem nationalem Recht zu befassen, und für die Zulässigkeit von solchen Vorlagefragen, als für die Frage der Unionsrechtskonformität des deutschen Glücksspielrechts. Emiliou nennt für die Prüfungskompetenz der Gerichte enge Grenzen, die es zumindest dem maltesischen Gericht schwermachen dürften, in Eigenregie das deutsche Glücksspielrecht für unanwendbar zu erklären. Andererseits gelten diese Grenzen freilich nicht für den EuGH. Spannend ist, dass sich der Generalanwalt auf Wunsch des EuGHs in seinen Schlussanträgen überwiegend auf die Zulässigkeit der Fragen beschränkt. Möglicherweise ist sich der EuGH also hinsichtlich der inhaltlichen Beantwortung der Fragen bereits sicher und hat deshalb auf diesbezügliche Ausführungen des Generalanwalts verzichtet.